Fremdenzimmer

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Das fliegende Fremdenzimmer

Es ist wohl Lüüls Stimme, die einen unmittelbar für seine Lieder einnimmt, einen aufnimmt. Lüüls sympathisches Timbre, die freundliche Rauheit des Gesangs, die einem Berliner eigene Schnoddrigkeit, gepaart mit polyglotter Weltläufigkeit, umarmen uns wie gute Gastgeber, deren Fremdenzimmer man gerne bezieht. 

Lüül ist voller Geschichten. Kein Wunder, bei diesem Leben, nachzulesen in seiner kurzweiligen Autobiographie. Der Mann hat echt Strecke gemacht. Von West-Berlin raus in die weite Welt. Wo Berliner doch so gar nicht gerne reisen. Für Lüül gelten ohnehin andere Koordinaten: Eichkamp – Paris – New York. Oder auch: Agitation Free und Ash Ra Tempel, Nico, Rocktheater Reineke Fuchs und die 17 Hippies, Gitarre und Banjo.

Und plötzlich sitzt man unter lauter Desperados auf einem stinkenden Kutter mit ohrenbetäubenden Antrieb. Alles ist fern, außer vielleicht die Sonne. Wir aber schauen mit Lüül aufs Meer und fühlen nichts als Wonne, hören Lieder, die vom Unterwegssein handeln, von Fernweh und Sehnsucht, vom Ankommen. Einige Stücke dieses Albums hat Lüül vor Jahrzehnten geschrieben und nun endlich aufgenommen und dafür – wenn nötig – den Text behutsam der Zeit angepasst. Aus CDU wird AfD, denn trotz aller Rasanz des Weltgeschehens bleiben die Symptome, die uns die Galle hochkommen lassen, wie unveränderlich bestehen. Wegsehen ist keine Lösung. Woran man nicht denken mag, darüber muss man singen.

Und zeigt das Cover auch Lüül & Band im plüschigen Fremdenzimmer mit Blümchentapete, hat hier nichts Patina angesetzt. Musikalisch ist Fremdenzimmer sowieso auf der Höhe der Zeit, weil zeitlos. Die virtuose Spielfreude von Kerstin Kaernbach, Daniel Cordes, Kruisko und Lüül macht jedes Schlagzeug obsolet. Und animiert das beschwingte Instrumentarium die Zuhörenden dazu, sich ohne Zögern auf Lüüls Reise einzulassen, entfachen die behutsamen Produzentenhändchen von Moses Schneider und seinem Toningenieur Ingo Krauss zudem einen klanglichen Sog, durch den diese Reise »einfach so« und wie im Flug vorübergeht. 

Nach einer Dreiviertelstunde fühlt man sich bereits sehr zuhause in diesem durch Raum und Zeit treibenden Fremdenzimmer und möchte den Aufenthalt dort sofort verlängern. Denn »Leben ist gut – nur die Welt ist schlecht«. Um die eigene optimistische Grundstimmung zurückzugewinnen, muss man manchmal eine Auszeit nehmen vom Tosen des Drumherums. Auf irgendeinem Berg oder Bug, von dem aus man »ruhig und gelassen« auf das ganze Schlamassel schauen kann, in einem Fremdenzimmer oder eben mit Lüüls Liedern in den Ohren.

Thilo Bock.

 

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